Mal ehrlich – wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die Brennnessel, die uns als Kinder regelmäßig zum Heulen gebracht hat, heute als Superfood gehandelt wird? Dabei wächst das stachelige Grünzeug praktisch überall und kostet keinen Cent. Spannend ist dabei, dass viele Menschen noch immer einen großen Bogen um die unscheinbare Pflanze machen, obwohl sie ernährungstechnisch so manche teure Exoten in die Tasche steckt.
Die gemeine Brennnessel, wissenschaftlich Urtica dioica genannt, gehört seit Jahrhunderten zu den wichtigsten Heilpflanzen Europas. Schon unsere Großmütter wussten um ihre Vorzüge – auch wenn das Wissen zwischenzeitlich etwas in Vergessenheit geraten ist. Heute erlebt die krautige Pflanze ihr Comeback, und das völlig zu Recht.
Nährstoffbombe aus dem eigenen Garten
Was die Brennnessel zur echten Nährstoffbombe macht, ist ihre beeindruckende Zusammensetzung. Mit etwa 40 Gramm Protein pro 100 Gramm getrocknete Blätter schlägt sie sogar manche Hülsenfrüchte. Besonders bemerkenswert: Sie enthält alle acht essentiellen Aminosäuren, die unser Körper nicht selbst herstellen kann.
Der Eisengehalt ist geradezu spektakulär – mit rund 4 Milligramm pro 100 Gramm frische Blätter übertrifft sie sogar Spinat deutlich. Dazu kommen ordentliche Mengen an Kalzium, Magnesium und Kalium. Vitamin C steckt ebenfalls reichlich drin, etwa viermal so viel wie in Zitronen. Nicht schlecht für ein "Unkraut", oder?
Interessant sind auch die sekundären Pflanzenstoffe: Flavonoide, Chlorophyll und verschiedene Mineralien machen die Brennnessel zu einem wahren Cocktail bioaktiver Substanzen. Diese Kombination erklärt, warum die Pflanze traditionell bei so vielen Beschwerden eingesetzt wurde – von Gelenkproblemen bis hin zu Müdigkeit.
Richtig ernten will gelernt sein
Brennnesseln zu sammeln ist eigentlich kinderleicht, wenn man ein paar Grundregeln beachtet. Der beste Zeitpunkt ist das Frühjahr bis in den frühen Sommer hinein, bevor die Pflanze zu blühen beginnt. Dann sind die Blätter noch zart und weniger bitter. Nach der Blüte werden sie zunehmend hart und schmecken nicht mehr so angenehm.
Handschuhe sind Pflicht – das sollte sich von selbst verstehen. Gummihandschuhe tun's auch, müssen aber dick genug sein. Die kleinen Brennhaare sind tückisch und durchdringen dünnes Material problemlos. Eine Schere oder ein scharfes Messer gehören ebenfalls zur Grundausstattung. Einfach mit den Händen rupfen funktioniert zwar auch, ist aber deutlich schmerzhafter.
Sammle nur junge Triebspitzen und die obersten vier bis sechs Blätterpaare. Die älteren, unteren Blätter sind oft ledrig und bitter. Achte darauf, nicht die komplette Pflanze abzuschneiden – so kann sie nachwachsen und du hast später wieder Nachschub. Eine Art nachhaltiges Gärtnern sozusagen.
Wichtig: Meide Brennnesseln von stark befahrenen Straßen, Industriegebieten oder gedüngten Äckern. Die Pflanzen nehmen Schadstoffe auf, und das willst du bestimmt nicht auf dem Teller haben. Am besten suchst du dir ein ruhiges Plätzchen im Wald oder im eigenen Garten – falls du das Glück hast, dass dort welche wachsen.
Von der Ernte in die Küche
Frisch gepflückte Brennnesseln sollten zügig verarbeitet werden, sonst werden sie welk und verlieren an Geschmack. Das Brennen hört übrigens schon nach wenigen Minuten auf – die empfindlichen Brennhaare brechen beim Transport meist von selbst ab. Trotzdem ist es ratsam, die Blätter vor der Weiterverarbeitung gründlich zu waschen.
Der einfachste Weg, Brennnesseln "scharf zu stellen", ist das Blanchieren. Einfach für 30 bis 60 Sekunden in kochendes Salzwasser geben, dann sofort in Eiswasser abschrecken. Dadurch werden die Brennhaare zerstört und die Blätter behalten trotzdem ihre schöne grüne Farbe. Alternativ kannst du sie auch für einige Minuten in einer Schüssel mit Salz und etwas Wasser kneten – das macht sie ebenfalls harmlos.
Wer es gerne praktisch mag, kann größere Mengen auf Vorrat verarbeiten. Trocknen funktioniert hervorragend: Die gewaschenen Blätter einfach auf einem sauberen Tuch ausbreiten und an einem luftigen, schattigen Ort ein paar Tage liegen lassen. Oder bei niedriger Temperatur im Dörrgerät bzw. Backofen trocknen. Getrocknete Brennnesseln halten sich monatelang und eignen sich prima als Gewürz oder für Tee.
Geschmack, der überrascht
Viele Menschen sind überrascht, wie mild und angenehm Brennnesseln schmecken. Roh haben sie einen leicht nussigen Geschmack mit einer dezenten, spinatähnlichen Note. Nach dem Kochen oder Blanchieren wird der Geschmack noch milder und erinnert tatsächlich stark an Spinat – nur etwas würziger und komplexer.
In der Küche sind Brennnesseln wahre Alleskönner. Sie passen hervorragend in Suppen, wo sie eine schöne grüne Farbe und einen herzhaften Geschmack beisteuern. Klassiker ist die Brennnesselsuppe mit Kartoffeln und Sahne – ein Gedicht, besonders im Frühjahr. Aber auch in Smoothies machen sie sich gut, allerdings sollte man sie vorher kurz blanchieren oder mit anderen Zutaten gut pürieren.
Brennnessel-Pesto ist ein echter Geheimtipp: Die Blätter mit Pinienkernen, Parmesan, Knoblauch und Olivenöl pürieren – fertig ist eine grüne Pasta-Sauce, die geschmacklich durchaus mit Basilikum-Pesto mithalten kann. Sogar als Salat-Zutat können junge, blanchierte Brennnesseln punkten. Einfach mit etwas Zitronensaft und Olivenöl anmachen.
Verarbeitung für Fortgeschrittene
Wer experimentierfreudig ist, kann aus Brennnesseln auch ungewöhnlichere Sachen machen. Brennnessel-Chips beispielsweise: Die Blätter nach dem Waschen gut trocken tupfen, mit etwas Olivenöl beträufeln, salzen und bei niedriger Temperatur im Ofen knusprig backen. Das dauert zwar seine Zeit, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen – ein gesunder Snack, der sogar Kinder begeistert.
Richtig genial wird es mit fermentiertem Brennnessel-Sauerkraut. Die gehackten Blätter werden wie Weißkohl mit Salz eingemassiert und dann in Gläsern fermentiert. Nach ein paar Wochen entsteht ein würziges, probiotisches Superfood, das den Darm freut und den Speiseplan bereichert. Zugegeben, das ist nichts für Anfänger, aber durchaus einen Versuch wert.
Brennnessel-Tee ist dagegen kinderleicht: Frische oder getrocknete Blätter mit heißem Wasser übergießen und zehn Minuten ziehen lassen. Der Tee schmeckt mild-herb und soll traditionell bei allerlei Beschwerden helfen. Wissenschaftlich belegt ist zwar nicht alles, aber schaden tut er definitiv nicht – und Nährstoffe liefert er allemal.
Brennnesseln das ganze Jahr über
Die Brennnessel-Saison ist länger, als die meisten denken. Schon ab März, manchmal sogar früher, sprießen die ersten zarten Triebe. Bis in den Oktober hinein kann man immer wieder junge Blätter finden, besonders wenn man die Pflanzen regelmäßig zurückschneidet. Das regt das Wachstum neuer, weicher Triebe an.
Selbst im Winter muss man nicht auf Brennnesseln verzichten, wenn man rechtzeitig vorgesorgt hat. Getrocknete Brennnesseln sind ein vollwertiger Ersatz für frische und behalten einen Großteil ihrer Nährstoffe. Eingefroren halten sich blanchierte Brennnesseln ebenfalls monatelang und können direkt aus dem Tiefkühlfach in Suppen oder Eintöpfe wandern.
Manche schwören auch auf Brennnessel-Pulver: Die getrockneten Blätter werden fein gemahlen und können dann als grünes Superfood-Pulver in Smoothies, Joghurt oder sogar in Brotteig eingerührt werden. Ein Teelöffel täglich soll schon einen merklichen Beitrag zur Nährstoffversorgung leisten.
Mehr als nur Nahrung
Brennnesseln können noch mehr, als nur satt zu machen. Ihre Fasern wurden früher zur Textilherstellung verwendet – brennnesselne Stoffe waren zeitweise sogar begehrter als Leinen. Heute erlebt auch dieser Aspekt eine kleine Renaissance, auch wenn hauptsächlich in Nischenbereichen.
Im Garten sind Brennnesseln echte Multitalente: Sie ziehen Nützlinge an, dienen als Kompostbeschleuniger und können zu einer wirksamen Pflanzenjauche verarbeitet werden, die als natürlicher Dünger fungiert. Wer also Brennnesseln im Garten hat, sollte sie nicht gleich als Unkraut verdammen – sie können durchaus nützlich sein.
Interessant ist auch, dass Brennnesseln oft auf besonders nährstoffreichen Böden wachsen. Wo sie gedeihen, ist der Boden meist humusreich und gut mit Stickstoff versorgt. Insofern sind sie auch ein Indikator für fruchtbare Erde – ein Zeichen, das Gärtner zu schätzen wissen.
Vorsicht ist besser als Nachsicht
Auch wenn Brennnesseln grundsätzlich unbedenklich sind, gibt es ein paar Dinge zu beachten. Menschen, die Blutverdünner nehmen, sollten vorsichtig sein – Brennnesseln enthalten Vitamin K, das die Blutgerinnung beeinflusst. Bei Nierenproblemen ist ebenfalls Zurückhaltung geboten, da die Pflanze harntreibend wirkt.
Schwangere und Stillende sollten größere Mengen meiden – nicht weil Brennnesseln gefährlich wären, sondern weil die Datenlage zu dünn ist. Ein gelegentlicher Brennnesseltee oder mal eine Portion in der Suppe ist sicher kein Problem, aber regelmäßiger Konsum großer Mengen sollte mit dem Arzt abgesprochen werden.
Allergische Reaktionen sind zwar selten, aber möglich. Wer empfindlich auf andere Pflanzen aus der Familie der Brennnesselgewächse reagiert, sollte vorsichtig beginnen und erst mal kleine Mengen probieren. Im Zweifel ist der Gang zum Arzt die sicherste Variante.