Wer hätte gedacht, dass vergorenes Kraut und saure Milch mal zu den angesagtesten Lebensmitteln gehören würden? Dabei ist Fermentation alles andere als neu – unsere Großmütter wussten schon, wie man Weißkohl in ein würziges Sauerkraut verwandelt. Heute stehen Kimchi, Kefir und Kombucha in jedem hippen Supermarkt, und Foodblogger überschlagen sich mit Lobeshymnen auf die "lebenden" Lebensmittel.
Doch was steckt wirklich dahinter? Ist die Fermentierung nur ein weiterer Wellness-Trend, der bald wieder verschwindet, oder haben die Mikroorganismen tatsächlich etwas Besonderes zu bieten? Spoiler: Es ist komplizierter, als du denkst.
Was passiert eigentlich beim Fermentieren?
Fermentation klingt erstmal ziemlich wissenschaftlich, ist aber im Grunde ein natürlicher Prozess, den Menschen seit Jahrtausenden nutzen. Vereinfacht gesagt: Mikroorganismen wie Bakterien oder Hefen machen sich über die Kohlenhydrate in Lebensmitteln her und wandeln sie um. Dabei entstehen Milchsäure, Alkohol oder andere Stoffe, die dem Essen einen charakteristisch säuerlichen Geschmack geben.
Spannend ist dabei, dass dieser Prozess nicht nur den Geschmack verändert, sondern auch die Nährstoffzusammensetzung. Manche Vitamine werden sogar erst durch die Fermentation richtig verfügbar – so produzieren die Bakterien im Sauerkraut beispielsweise zusätzliches Vitamin C. Kein Wunder, dass Seefahrer früher Fässer voller Kraut mit an Bord nahmen.
Bei der Milchsäuregärung, die bei Kimchi und Sauerkraut abläuft, entsteht ein saures Milieu, in dem schädliche Bakterien keine Chance haben. Das ist der Grund, warum fermentierte Lebensmittel so lange haltbar sind – die "guten" Bakterien schützen vor den "bösen". Clever gelöst von der Natur, oder?
Kimchi: Das koreanische Powerkraut
Kimchi ist vermutlich das bekannteste fermentierte Gemüse der Welt – zumindest außerhalb Deutschlands. In Korea gehört das scharf eingelegte Kraut zu praktisch jeder Mahlzeit dazu. Die Basis bildet meist Chinakohl, aber auch Rettich, Gurken oder andere Gemüsesorten landen im Kimchi-Topf.
Was Kimchi so besonders macht, ist die Kombination aus verschiedenen gesunden Inhaltsstoffen. Da wären zunächst die lebenden Milchsäurebakterien, die beim Fermentationsprozess entstehen. Diese Lactobacillen können das Gleichgewicht der Darmflora positiv beeinflussen – allerdings nur, wenn sie lebendig im Darm ankommen, was nicht immer der Fall ist.
Dazu kommt eine ordentliche Portion Vitamin C, das durch die Fermentation sogar noch zunimmt. Ein Löffel Kimchi deckt bereits einen Teil des Tagesbedarfs ab. Die scharfen Chilischoten liefern Capsaicin, das den Stoffwechsel ankurbeln kann. Und dann ist da noch der hohe Gehalt an Ballaststoffen, die wiederum den Darmbakterien als Futter dienen.
Geschmacklich ist Kimchi nichts für schwache Nerven: scharf, sauer, salzig und umami – alle Geschmacksrichtungen auf einmal. Manche beschreiben es als "explosiv", andere als "erfrischend säuerlich". Fakt ist: Kimchi polarisiert, aber wer sich daran gewöhnt hat, will oft nicht mehr darauf verzichten.
Kefir: Die prickelnde Milch
Kefir ist so etwas wie der wilde Cousin des Joghurts. Während Joghurt mit ein paar ausgewählten Bakterienkulturen hergestellt wird, tummeln sich im Kefir bis zu 30 verschiedene Mikroorganismen – Bakterien und Hefen in friedlicher Koexistenz. Das Ergebnis ist ein leicht prickelndes, säuerliches Getränk mit einem Hauch von Alkohol (meist unter 1 Prozent).
Traditionell wird Kefir mit sogenannten Kefirknollen hergestellt, kleinen weißlichen Klümpchen, die aussehen wie Blumenkohl-Röschen. Diese Knollen sind eigentlich Kolonien von Mikroorganismen, die sich in einer Art schleimiger Matrix zusammengeschlossen haben. Klingt unappetitlich, funktioniert aber seit Jahrhunderten.
Die gesundheitlichen Aspekte von Kefir sind durchaus bemerkenswert. Die Vielfalt der enthaltenen Mikroorganismen ist deutlich größer als bei herkömmlichen Joghurts. Einige Studien deuten darauf hin, dass bestimmte Kefir-Stämme entzündungshemmende Eigenschaften haben könnten. Außerdem ist Kefir oft besser verträglich für Menschen mit Laktoseintoleranz, da die Mikroorganismen einen Großteil der Laktose bereits abgebaut haben.
Geschmacklich erinnert Kefir an eine Mischung aus Joghurt und Buttermilch – säuerlich, aber nicht zu sauer, mit einer angenehmen Frische. Manche schwören darauf, ihn pur zu trinken, andere mixen ihn in Smoothies oder verwenden ihn als Basis für Salatdressings.
Die Sache mit den Probiotika
Hier wird's kompliziert. Fermentierte Lebensmittel werden oft als "probiotisch" beworben, aber das ist nicht automatisch richtig. Probiotika sind per Definition lebende Mikroorganismen, die in ausreichender Menge konsumiert einen gesundheitlichen Nutzen haben. Das Problem: Nicht alle fermentierten Lebensmittel enthalten noch lebende Bakterien, wenn sie bei dir auf dem Teller landen.
Sauerkraut aus der Dose beispielsweise wurde meist pasteurisiert – die Hitzebehandlung tötet alle Mikroorganismen ab. Übrig bleibt zwar ein gesundes Gemüse mit viel Vitamin C, aber die probiotischen Eigenschaften sind dahin. Ähnlich verhält es sich mit vielen industriell hergestellten fermentierten Produkten.
Echte probiotische Wirkung bekommst du nur von rohen, nicht erhitzten fermentierten Lebensmitteln. Diese findest du meist im Kühlregal oder stellst sie selbst her. Wobei man fairerweise sagen muss: Auch bei "lebenden" Produkten ist nicht gesichert, dass die Bakterien die Magensäure überleben und tatsächlich im Darm ankommen.
Trotzdem ist die Forschung zu Probiotika durchaus vielversprechend. Studien zeigen, dass bestimmte Bakterienstämme das Immunsystem stärken, die Verdauung verbessern oder sogar die Stimmung beeinflussen können. Das Stichwort lautet "Darm-Hirn-Achse" – ein faszinierendes Forschungsfeld, das gerade erst richtig losgeht.
Weitere fermentierte Helden
Kimchi und Kefir sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Welt der fermentierten Lebensmittel ist riesig und vielfältig. Da wäre zum Beispiel Kombucha, das trendige Teegetränk, das durch Fermentation mit einem sogenannten SCOBY entsteht – einer gallertartigen Kultur aus Bakterien und Hefen. Der Geschmack ist gewöhnungsbedürftig: säuerlich, leicht süß und manchmal etwas hefig.
Miso, die japanische Paste aus fermentierten Sojabohnen, bringt einen intensiven Umami-Geschmack in Suppen und Marinaden. Die Fermentation kann hier Jahre dauern und erzeugt komplexe Aromen, die man sonst nirgends findet. Ähnlich verhält es sich mit Tempeh, einem indonesischen Fleischersatz aus fermentierten Sojabohnen, der eine nussige Note und eine feste Textur hat.
Auch unser heimisches Sauerkraut verdient mehr Aufmerksamkeit. Richtig zubereitet – also roh und nicht aus der Dose – ist es ein wahres Nährstoffwunder. Die Fermentation macht die Vitamine besser verfügbar und erzeugt zusätzliche B-Vitamine. Plus: Es schmeckt deutlich komplexer als sein Ruf vermuten lässt.
Interessant sind auch fermentierte Getreideprodukte wie Sauerteigbrot. Hier sorgen wilde Hefen und Bakterien nicht nur für den charakteristischen Geschmack, sondern machen das Brot auch bekömmlicher. Die langen Fermentationszeiten bauen schwer verdauliche Stoffe ab und können sogar Menschen mit Glutensensitivität entgegenkommen – wobei das kein Freifahrtschein für Zöliakie-Betroffene ist.
Selber machen oder kaufen?
Die Frage stellen sich viele: Soll ich fermentierte Lebensmittel selbst herstellen oder lieber fertige kaufen? Beide Wege haben ihre Vor- und Nachteile. Selbermachen ist definitiv günstiger und du hast die volle Kontrolle über Zutaten und Geschmack. Außerdem macht es Spaß zu beobachten, wie aus langweiligem Weißkohl nach ein paar Tagen ein blubberndes, lebendiges Sauerkraut wird.
Der Nachteil: Fermentation braucht Zeit, Geduld und ein bisschen Fingerspitzengefühl. Nicht jeder Versuch gelingt, und manchmal entwickeln sich unerwünschte Aromen oder sogar schädliche Mikroorganismen. Bei der Herstellung von Kombucha beispielsweise kann sich Schimmel bilden, wenn die Bedingungen nicht stimmen.
Gekaufte Produkte sind dagegen sofort verfügbar und in der Regel sicher. Gute fermentierte Lebensmittel findest du mittlerweile nicht nur im Bioladen, sondern auch in normalen Supermärkten. Achte dabei auf ungekühlt haltbare Produkte – das ist meist ein Zeichen dafür, dass sie pasteurisiert wurden und keine lebenden Bakterien mehr enthalten.
Ein Kompromiss könnte sein, mit einfachen Produkten wie Sauerkraut oder eingelegten Gurken anzufangen und sich dann an komplexere Fermente wie Kimchi oder Kefir heranzuwagen. Viele Hobbyfermentierer entwickeln mit der Zeit eine richtige Leidenschaft für das Thema.
Nebenwirkungen und Vorsichtsmaßnahmen
So gesund fermentierte Lebensmittel auch sein mögen – sie sind nicht für jeden geeignet. Menschen mit geschwächtem Immunsystem sollten vorsichtig sein, da die lebenden Mikroorganismen in seltenen Fällen Probleme verursachen können. Auch bei Histaminintoleranz sind viele fermentierte Produkte tabu, da sie hohe Mengen an Histamin enthalten.
Wer neu mit fermentierten Lebensmitteln anfängt, sollte langsam beginnen. Der Darm muss sich erst an die neue Bakterienvielfalt gewöhnen. Zu große Mengen auf einmal können zu Blähungen, Bauchschmerzen oder Durchfall führen. Ein Teelöffel Kimchi oder ein kleines Glas Kefir reichen für den Anfang völlig aus.
Besonders bei selbstgemachten fermentierten Lebensmitteln ist Hygiene das A und O. Saubere Gläser, gewaschene Hände und frische Zutaten sind Pflicht. Wenn etwas komisch riecht, pelzig aussieht oder sich ungewöhnlich anfühlt, gehört es in den Müll, nicht in den Mund.