Wenn du denkst, Ketchup sei eine amerikanische Erfindung, liegst du ziemlich daneben. Der Begriff Ketchup stammt wahrscheinlich von dem Wort kê-tsiap, welches im chinesischen Dialekt Hokkien eine Sauce aus fermentiertem Fisch beschreibt. Das ist schon mal ein ziemlicher Unterschied zu dem, was heute auf unseren Pommes landet.
Spannend ist dabei, dass die ursprüngliche Sauce rein gar nichts mit dem zu tun hatte, was wir heute kennen. Wer in China "Kê-tsiap" sagt, meint damit eine fermentierte Fischsauce, die zu Fisch- oder Geflügelgerichten gereicht wurde. Von der süßen Tomatenpampe, die wir heute kennen, war da noch keine Spur.
Die Verwandtschaft wird noch deutlicher, wenn man sich die indonesische Variante anschaut. Wahrscheinlich ist die Herkunft aus dem Indonesischen, dort bedeutet kecap einfach Sauce, wird aber meistens für eine fermentierte Sauce aus schwarzen Sojabohnen verwendet. Hier kommt schon die Fermentation ins Spiel – ein Prozess, der auch heute noch das Geheimnis vieler großartiger Saucen ist.
Was zum Geier ist fermentierter Fisch?
Fermentierte Fischsauce klingt erstmal nicht besonders appetitlich, oder? Aber halt – bevor du das Gesicht verziehst, solltest du wissen, dass diese Saucen zu den komplexesten und schmackhaftesten Würzmitteln der Welt gehören. Ursprünglich bekannt wurde er Ende des 15. Jahrhunderts und war eine fermentierte Fischsauce mit Salz und Gewürzen.
Die Herstellung ist dabei alles andere als kompliziert, braucht aber Zeit und Geduld. Fisch wird mit ordentlich Salz vermischt und dann monatelang fermentiert. Durch diesen Prozess entstehen intensive Umami-Aromen – dieser herzhafte, fleischige Geschmack, der so schwer zu beschreiben ist, aber einfach nach "mehr" schreit.
Was heute noch in vielen asiatischen Küchen Standard ist, war damals die Grundlage für das, was später mal Ketchup werden sollte. Die ursprüngliche kê-tsiap war dunkel, salzig, würzig und hatte eine Komplexität, die unseren heutigen Ketchup alt aussehen lässt.
Wie die Sauce den Weg nach Europa fand
Die Geschichte nimmt Fahrt auf, als europäische Händler im 18. Jahrhundert auf diese asiatischen Würzsaucen stießen. Von diesen Würzmischungen begeistert, versuchten die englischen und holländischen Händler im 18. Jh., sie in Europa nachzuahmen. Das war der Anfang einer langen Transformationsgeschichte.
Die ersten englischen Versuche waren noch ziemlich nah am Original. Damals wurde es als "high East-India Sauce" bezeichnet, jedoch hatte es kaum etwas mit dem heutigen Ketchup gemein. Eher handelte es sich dabei um eine Fischsauce, die aus dem asiatischen Raum stammte. Man kann sich vorstellen, wie die Briten versuchten, diese exotische Sauce mit heimischen Zutaten nachzubauen.
Das Problem: In Europa gab es keine Tradition der Fischsauce-Herstellung. Also experimentierten die Köche mit dem, was sie hatten. Pilze, Nüsse, Austern – alles wurde ausprobiert, um den intensiven Umami-Geschmack der asiatischen Originale zu erreichen. Diese europäischen Varianten waren oft dunkler und komplexer als das, was heute aus der Flasche kommt.
Der Wendepunkt: Tomaten erobern die Sauce
Lange Zeit galten Tomaten in Europa als giftig – ein Irrglaube, der sich hartnäckig hielt. Erst als die Skepsis schwand, kamen findige Köche auf die Idee, auch Tomaten für ihre Ketchup-Experimente zu verwenden. Das erste Rezept für "Ketchup" auf Basis von pürierten Tomaten erblickte 1812 in England das Gesicht der Welt.
Das war der Wendepunkt. Tomaten brachten nicht nur eine leuchtend rote Farbe mit, sondern auch natürliche Süße und Säure. Der Unterschied bestand darin, dass beim Ketchup Essig zugesetzt wurde und das Ergebnis eine haltbare fermentierte Sauce war. Diese Kombination aus Tomaten, Essig und Gewürzen bildete die Grundlage für das, was wir heute als Ketchup kennen.
Interessant ist, dass die Fermentation – das Herzstück der ursprünglichen asiatischen Saucen – auch bei den ersten Tomaten-Ketchups noch eine Rolle spielte. Die Sauce wurde nicht einfach zusammengerührt, sondern entwickelte durch kontrollierte Gärung ihre charakteristischen Aromen.
Von der Delikatesse zum Massenprodukt
Der entscheidende Schritt vom handwerklichen Produkt zum industriellen Massenprodukt erfolgte in Amerika. Inspiriert von der alten chinesischen Sauce entwickelte Heinz 1876 die geheime Rezeptur für Heinz Tomato Ketchup. Bis heute stellt man Tomatenketchup noch immer nach diesem Grundrezept her.
Heinrich "Henry" Heinz war ein cleverer Geschäftsmann, der das Potenzial der süß-sauren Tomatensauce erkannte. Seine Innovation lag nicht nur im Geschmack, sondern auch in der Haltbarmachung und Vermarktung. Die charakteristische Glasflasche, die klare rote Farbe und der konstante Geschmack machten seinen Ketchup zum Standard.
Was dabei auf der Strecke blieb, war die Komplexität der ursprünglichen Sauce. Während die asiatischen Varianten durch monatelange Fermentation eine Vielschicht von Aromen entwickelten, setzte die industrielle Produktion auf Einfachheit und Einheitlichkeit. Süß, sauer, ein bisschen würzig – fertig ist das Produkt, das heute in jedem Supermarkt steht.
Trotzdem hat der moderne Ketchup seine Berechtigung. Er ist konsistent, haltbar und schmeckt Millionen von Menschen. Aber es lohnt sich schon, mal über den Tellerrand zu schauen und zu verstehen, wo er herkommt.
Die Renaissance der fermentierten Saucen
Heute erleben fermentierte Saucen eine echte Renaissance. Köche und Foodies entdecken die Komplexität wieder, die in traditionell hergestellten, fermentierten Würzmitteln steckt. Von Garum bis hin zu modernen Interpretationen der ursprünglichen kê-tsiap – überall sprießen Projekte aus dem Boden, die sich auf die alten Techniken besinnen.
Besonders interessant wird es, wenn moderne Fermentationskünstler die ursprünglichen Techniken mit neuen Zutaten kombinieren. Statt Fisch werden Pilze fermentiert, statt traditioneller Sojabohnen experimentiert man mit anderen Hülsenfrüchten. Das Ergebnis sind Saucen mit einer Komplexität, die weit über das hinausgeht, was industriell hergestellter Ketchup bieten kann.
Auch die Rückbesinnung auf regionale Zutaten spielt eine Rolle. Warum nicht eine fermentierte Sauce aus heimischen Gemüsen oder Früchten entwickeln? Die Prinzipien der Fermentation funktionieren mit den unterschiedlichsten Rohstoffen – es braucht nur Zeit, Geduld und die Bereitschaft zu experimentieren.
Ketchup selber machen: Zurück zu den Wurzeln
Wer neugierig geworden ist, kann durchaus selbst experimentieren. Dabei muss es gar nicht gleich die klassische Fischsauce sein – auch eine fermentierte Tomaten-Variante ist deutlich komplexer als das, was man kaufen kann.
Das Grundprinzip ist simpel: Tomaten werden mit Salz und Gewürzen vermischt und dann über Wochen fermentiert. Durch die kontrollierte Gärung entstehen Aromen, die kein industrieller Ketchup erreichen kann. Das Ergebnis ist würziger, komplexer und hat eine natürliche Tiefe, die süchtig macht.
Wer mutiger ist, kann auch mal eine Pilz-Variante ausprobieren. Getrocknete Shiitake, Salz und Zeit ergeben eine dunkle, umami-reiche Sauce, die der ursprünglichen kê-tsiap deutlich näher kommt als jeder Tomaten-Ketchup. Der Geschmack ist intensiv, erdig und hat diese unverwechselbare fermentierte Note.
Wichtig ist dabei Geduld. Fermentation braucht Zeit – manchmal Wochen, manchmal Monate. Aber das Warten lohnt sich. Das Ergebnis ist eine Sauce mit einer Komplexität, die zeigt, was Ketchup mal war, bevor er zum süßen Massenprodukt wurde.