Gerichtsnamen sind wie kleine Zeitkapseln. Sie erzählen von kulinarischen Traditionen, historischen Ereignissen, sprachlichen Entwicklungen und manchmal auch von cleveren Marketingstrategien.
Manche Namen sind pragmatisch, andere romantisch verklärt, wieder andere schlicht irreführend. Aber alle haben eines gemeinsam: Sie machen Lust aufs Essen und bleiben im Gedächtnis haften.
Das große Rätsel um das Wiener Schnitzel
Fangen wir mal mit dem Klassiker an. Das Wiener Schnitzel – jeder kennt es, fast jeder liebt es, aber kaum einer weiß so richtig, woher der Name kommt. Dabei ist die Geschichte ziemlich faszinierend, auch wenn sie nicht ganz so spektakulär ist, wie manche Legenden es gerne hätten.
Der Begriff „Schnitzel" leitet sich vom mittelhochdeutschen Wort „sniz" ab, was schlicht „Schnitt" bedeutet. Klingt erst mal ziemlich unspektakulär, oder? Als Diminutiv wurde daraus „snitzel" und später unser heutiges „Schnitzel". Ursprünglich bezeichnete man damit einfach kleine, geschnittene Fleischstücke. Pragmatisch gedacht, die alten Köche.
Spannend wird's bei der Vorsilbe „Wiener". Hier kommen wir zu einer der hartnäckigsten Küchenlegenden überhaupt: die Radetzky-Geschichte. Angeblich soll der österreichische Feldmarschall das Rezept 1857 aus Italien mitgebracht haben, inspiriert von der Cotoletta alla milanese. Eine schöne Geschichte, aber leider kompletter Humbug. Der Sprachforscher Heinz-Dieter Pohl hat 2007 nachgewiesen, dass diese Erzählung erst 1969 in einem italienischen Gastronomieführer auftauchte – also gut 100 Jahre später erfunden wurde.
Tatsächlich taucht das Wiener Schnitzel schon 1798 in österreichischen Kochbüchern auf. Das „Wiener" im Namen bezieht sich einfach darauf, dass diese Art der Zubereitung – dünnes Kalbfleisch in Ei und Semmelbröseln paniert – typisch für die Wiener Küche war. Manchmal ist die Wahrheit eben banaler als die Legende.
Kaiserschmarrn: Wenn dem Kaiser die Palatschinken misslingen
Beim Kaiserschmarrn wird's deutlich romantischer – und hier sind die Legenden tatsächlich älter als moderne Erfindungen. Der Name kommt definitiv von Kaiser Franz Joseph I., aber wie genau, darüber streiten sich die Geschichten bis heute.
Die bekannteste Version geht so: 1854 sollte Kaiserin Elisabeth einen perfekten Palatschinken serviert bekommen. Dumm nur, dass der Küchenchef beim Wenden patzte und das ganze Ding zerriss. Statt in Panik zu verfallen, machte er aus der Not eine Tugend, zerteilte den Pfannkuchen weiter, fügte Zucker und Rosinen hinzu und servierte das Ganze als neue Kreation. Der Kaiser soll begeistert gewesen sein.
Eine andere Variante erzählt vom Kaiser höchstpersönlich, der bei einem Jagdausflug im Salzkammergut einen simplen Holzfällerschmarren vorgesetzt bekam und so angetan war, dass er ihn zu seinem Leibgericht erklärte. Das Wort „Schmarrn" bedeutet übrigens so viel wie „Unsinn" oder „Durcheinander" – was ziemlich gut zu einem zerrissenen Pfannkuchen passt, findest du nicht?
Heute heißt es sowohl Kaiserschmarren als auch Kaiserschmarrn, je nachdem, in welcher Gegend du dich bewegst. Die Ungarn nennen es „Császármorzsa", die Tschechen „Císařský trhanec" – überall wurde der kaiserliche Ursprung mitübernommen.
Sauerbraten: Eine Frage der Haltbarkeit
Der Sauerbraten hat einen der pragmatischsten Namen in der deutschen Küche. Hier versteckt sich keine romantische Geschichte, sondern pure Funktionalität. „Sauer" bezieht sich auf die mehrtägige Beizung in einer Essig-Marinade, „Braten" ist selbsterklärend.
Diese Zubereitungsart entstand aus der puren Notwendigkeit heraus, Fleisch länger haltbar zu machen. Bevor es Kühlschränke gab, war das Marinieren in saurer Flüssigkeit eine der wenigen Möglichkeiten, Fleisch vor dem Verderben zu bewahren. Gleichzeitig wurde dadurch zähes Fleisch mürbe gemacht – ein praktischer Nebeneffekt.
Interessant ist, dass sich je nach Region verschiedene Varianten entwickelten. Der rheinische Sauerbraten wird süß-sauer zubereitet, oft mit Printen, Rosinen und Rübenkraut. In anderen Gegenden bleibt er herzhafter. Allen gemeinsam ist die charakteristische dunkle Sauce, die durch die Beize und das lange Schmoren entsteht.
Rinderroulade: Französischer Einfluss auf deutschen Tellern
Bei der Rinderroulade wird's international. Das Wort stammt vom französischen „rouler" (rollen) und beschreibt exakt das, was mit dem Fleisch passiert: Es wird gerollt. Genauer gesagt werden dünne Fleischscheiben mit einer Füllung belegt und dann aufgerollt.
Die klassische deutsche Variante mit Speck, Zwiebeln und saurer Gurke ist allerdings eine recht eigenständige Entwicklung. Während die Franzosen ihre Rouladen eher mit Kräutern und Gemüse füllen, haben die deutschen Köche eine deftigere Variante entwickelt, die perfekt zur heimischen Küche passt.
Das Bridieren – also das Zusammenbinden mit Küchengarn – ist übrigens essentiell. Ohne diese Technik würde die ganze Füllung beim Braten wieder herausfallen. Manchmal sind die einfachsten Lösungen die besten.
Döner Kebab: Wenn sich ein Name durchs halbe Alphabet dreht
Der Döner ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich Begriffe über Sprachgrenzen hinweg entwickeln. „Döner" kommt vom türkischen Verb „dönmek" (sich drehen) und beschreibt das charakteristische Rotieren des Fleischspießes am vertikalen Grill.
„Kebab" wiederum stammt aus dem Arabischen und bedeutet einfach „Fleisch". In Deutschland hat sich die Kombination „Döner Kebab" durchgesetzt, auch wenn das streng genommen eine Dopplung ist – „drehendes Fleisch Fleisch" sozusagen.
Spannend ist dabei, dass der Döner, wie wir ihn in Deutschland kennen, tatsächlich eine deutsche Erfindung ist. Das Fleisch im Fladenbrot mit Salat und Sauce wurde erst hier entwickelt, in der Türkei isst man Döner traditionell auf dem Teller mit Reis oder Bulgur.
Currywurst: Berlin trifft Indien
Die Currywurst ist ein echtes Kind der Nachkriegszeit und hat einen der geradlinigsten Namen überhaupt. Herta Heuwer erfand sie 1949 in Berlin, als sie eine Bratwurst mit einer Sauce aus Tomatenmark und Currypulver übergoss.
Der Name erklärt sich von selbst: Wurst mit Curry. Punkt. Manchmal muss man nicht lange um den heißen Brei herumreden. Interessant ist aber, wie sich das Gericht regional entwickelt hat. In Berlin wird die Wurst meist ohne Darm serviert, im Ruhrgebiet mit. Die Sauce variiert ebenfalls stark – von mild-süßlich bis scharf-würzig ist alles möglich.
Das Currypulver selbst ist übrigens auch schon ein Kompromiss: Es ist eine britische Erfindung, die indische Gewürzmischungen nachahmen sollte. Curry kommt vom tamilischen Wort „kari", was Sauce oder Beilage bedeutet.
Schwarzwälder Kirschtorte: Mehr als nur ein Ortsname
Bei der Schwarzwälder Kirschtorte scheint der Name selbsterklärend – kommt aus dem Schwarzwald, hat Kirschen, ist eine Torte. Stimmt auch größtenteils, aber es steckt mehr dahinter.
Der entscheidende Punkt ist der Schwarzwälder Kirsch, ein Kirschwässerle, das der Torte ihren charakteristischen Geschmack verleiht. Ohne diesen Schnaps wäre es nur eine Kirsch-Sahne-Torte. Die dunklen Schokospäne sollen übrigens die typischen schwarzen Bollenhüte der Schwarzwälder Tracht nachahmen – zumindest behaupten das manche Geschichten.
Tatsächlich wurde die Torte wahrscheinlich gar nicht im Schwarzwald erfunden, sondern in Bonn. Aber der Name Schwarzwälder Kirschtorte klang eben viel romantischer als Bonner Kirschtorte. Marketing gab's schon vor dem Internet.
Himmel und Erde: Poetische Küche aus dem Rheinland
„Himmel und Erde" ist einer der poetischsten Gerichtsnamen der deutschen Küche. Die Äpfel stehen für den Himmel (wachsen am Baum), die Kartoffeln für die Erde (wachsen unter der Erde). Dazu kommt meist Blutwurst oder Leberwurst – die repräsentiert dann sozusagen das Leben dazwischen.
Ursprünglich stammt das Gericht aus dem Rheinland und war ein typisches Arme-Leute-Essen. Kartoffeln und Äpfel hatte fast jeder, und die Kombination aus süß und herzhaft machte aus einfachen Zutaten eine sättigende Mahlzeit.
Regional gibt es viele Varianten: In Westfalen heißt es „Himmel un Ääd", in anderen Gegenden „Himmel un Erde". Allen gemeinsam ist die poetische Grundidee, die aus einem simplen Kartoffel-Apfel-Püree etwas Besonderes macht.