Ernährung & Gesundheit

Abends keine Carbs? Von wegen! Was die aktuelle Forschung sagt

Jahrzehntelang haben wir uns das Abendbrot madig machen lassen. Keine Pasta nach sechs, keine Stulle vor dem Fernseher, bloß keine Kohlenhydrate wenn die Sonne untergeht. Doch aktuelle Studien räumen ordentlich auf mit diesem Ernährungsmythos.

Ernährung & Gesundheit  |  Lesezeit: ca. 8 Min.
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Zwischenablage

Wer kennt sie nicht, diese gut gemeinten Ratschläge beim Familienessen: "Lass die Kartoffeln weg, es ist schon acht Uhr!" oder "Nach 18 Uhr werden Kohlenhydrate direkt in Fett umgewandelt!" Solche Weisheiten schwirren seit Jahren durch Fitnessstudios, Diätforen und Familienklatsch. Aber Hand aufs Herz – stimmt das überhaupt?

Die Antwort ist ein klares Jein. Oder besser gesagt: Es ist komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Tatsächlich funktioniert unser Stoffwechsel abends etwas anders als morgens. Abends ist die Insulinsensitivität geringer als morgens, was bedeutet, dass der Körper weniger effizient auf das Hormon Insulin reagiert. Zwar werden Kohlenhydrate abends tatsächlich etwas langsamer verstoffwechselt, was sich physiologisch auch messen lässt.

Doch von dieser physiologischen Tatsache bis zur pauschalen Verdammung aller Kohlenhydrate nach Sonnenuntergang ist es ein weiter Weg. Ein Weg, der an der Wissenschaft vorbeiführt.

Was passiert wirklich nach dem Abendessen?

Stellen wir uns vor, du isst um 19 Uhr eine Portion Vollkornnudeln mit Gemüse. Was passiert dann in deinem Körper? Zunächst einmal das, was auch morgens passiert: Die Kohlenhydrate werden in Glukose aufgespalten und gelangen ins Blut. Der Blutzuckerspiegel steigt an – allerdings tatsächlich etwas langsamer und weniger stark als am Morgen.

Insulin wird ausgeschüttet, um die Glukose in die Zellen zu transportieren. Hier wird's interessant: Beispielsweise bleibt der Blutzucker länger erhöht als morgens, der Energiebedarf der Muskeln ist in Ruhe geringer. Das klingt erstmal bedrohlich, aber denk mal drüber nach: Wenn du am Abend entspannt auf der Couch sitzt, brauchst du schlichtweg weniger sofortige Energie als wenn du morgens zur Arbeit hetzt.

Das bedeutet aber nicht automatisch, dass überschüssige Energie als Fett gespeichert wird. Denn dein Körper ist kein simpler Ofen, der alles verbrennt oder alles einlagert. Er ist eher wie ein schlauer Buchhalter, der ständig Bilanz zieht.

Die Sache mit dem Chronotyp – Eulen haben's schwerer

Hier wird's richtig spannend: Neueste Ergebnisse zeigen jetzt: Das ist nicht bei allen Menschen so und hängt von der „inneren Uhr" ab. Forscher haben herausgefunden, dass sogenannte "Eulen" – also Menschen, die von Natur aus eher spät zu Bett gehen und spät aufstehen – möglicherweise tatsächlich Probleme mit Kohlenhydraten am frühen Morgen haben können.

Das ist geradezu paradox zu den gängigen Ernährungsempfehlungen! Während wir jahrelang gepredigt bekommen haben, morgens ordentlich zu frühstücken und abends sparsam zu sein, zeigt sich: Für manche Menschen könnte genau das Gegenteil sinnvoller sein.

Deine innere Uhr tickt anders als die deines Nachbarn. Manche Menschen sind morgens schon fit wie ein Turnschuh, andere brauchen drei Tassen Kaffee, um überhaupt ansprechbar zu werden. Diese Unterschiede betreffen nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch den Stoffwechsel.

Kalorien sind Kalorien – oder etwa nicht?

Zurück zu den Basics: 1g Kohlenhydrate und 1g Eiweiß haben jeweils 4,1kcal. 1g Fett hat 9,3kcal. Rein von der Kaloriendichte sind Kohlenhydrate also nicht überdurchschnittlich hoch. Diese nüchterne Rechnung zeigt: Kohlenhydrate sind nicht per se Dickmacher.

Trotzdem ist es nicht ganz so einfach. Nach einem kohlenhydratreichen Essen steigt der Blutzuckerspiegel stark an, weshalb auch der Insulinspiegel schnell in die Höhe schießt. Dieser Insulinausstoß kann dazu führen, dass der Körper eher in den "Speicher-Modus" wechselt als in den "Verbrennungs-Modus".

Aber – und das ist ein großes Aber – entscheidend ist am Ende die Gesamtbilanz des Tages. Oder besser noch: der ganzen Woche. Wenn du insgesamt nicht mehr Kalorien zu dir nimmst, als du verbrauchst, wirst du nicht zunehmen. Punkt. Auch nicht, wenn du jeden Abend eine Portion Pasta verdrückst.

Was sagt die offizielle Ernährungswissenschaft?

Offiziell gibt es keine Empfehlung, abends auf Kohlenhydrate zu verzichten. Es gibt allerdings keine Studien, die dies eindeutig belegen und auch keine offiziellen Empfehlungen, zum Beispiel von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Im Gegenteil: Die DGE empfiehlt nach wie vor, dass mehr als 50 Prozent der täglichen Energie aus Kohlenhydraten stammen sollten.

Das heißt nicht, dass du jetzt jeden Abend hemmungslos Weißbrot in dich hineinstopfen sollst. Sondern dass du dir bewusst machst: Der Zeitpunkt der Kohlenhydrataufnahme ist weniger entscheidend als die Qualität und die Gesamtmenge.

Interessant ist auch, dass einige Ernährungsexperten die Theorie verfolgen, dass Kohlenhydrate, die abends zugeführt werden, den Fettabbau hemmen und so eine Gewichtsabnahme verhindern. Diese Theorie ist populär, aber wissenschaftlich nicht eindeutig belegt.

Komplexe Kohlenhydrate vs. einfache Zucker – der Unterschied macht's

Nicht alle Kohlenhydrate sind gleich. Komplexe Kohlenhydrate wie Mehrfachzucker und Ballaststoffe hingegen (zum Beispiel Vollkornprodukte oder Hülsenfrüchte) lassen den Blutzucker sehr langsam ansteigen und abfallen. Das ist ein Game-Changer!

Stell dir vor, du isst abends einen Schokoriegel versus eine Schüssel Haferflocken mit Beeren. Der Schokoriegel lässt deinen Blutzucker in die Höhe schnellen wie eine Rakete – und genauso schnell wieder abstürzen. Die Haferflocken hingegen sorgen für einen sanften, konstanten Anstieg.

Das bedeutet: Wenn du abends Kohlenhydrate isst, dann greif zu den komplexen Varianten. Vollkornbrot statt Weißbrot, Süßkartoffeln statt Pommes, Quinoa statt weißer Reis. Dein Körper wird es dir danken – und dein Blutzucker auch.

Praktischer Umgang mit dem Abend-Dilemma

Was bedeutet das jetzt konkret für deinen Alltag? Zunächst einmal: Entspann dich. Du musst nicht panisch auf die Uhr schauen, wenn du Lust auf ein Käsebrot hast. Aber ein paar Tricks können helfen:

Erstens: Hör auf deinen Körper. Wenn du merkst, dass du nach kohlenhydratreichen Abendessen schlecht schläfst oder dich morgens träge fühlst, reduziere die Menge. Wenn nicht – warum solltest du dir das Leben schwer machen?

Zweitens: Qualität vor Quantität. Eine kleine Portion guter Vollkornnudeln ist besser als ein großer Teller weiße Pasta mit Sahnesauce. Und mal ehrlich – meistens ist es ja sowieso nicht das bisschen Brot, sondern die Butter, der Käse und die Wurst darauf, die die Kalorien hochtreiben.

Drittens: Beweg dich. Ein kleiner Spaziergang nach dem Abendessen kann wahre Wunder wirken. Nicht nur für die Verdauung, sondern auch für den Blutzuckerspiegel.

Individuelle Unterschiede ernst nehmen

Jeder Mensch ist anders – das klingt wie eine Binsenweisheit, ist aber gerade beim Thema Ernährung extrem wichtig. Manche Menschen kommen prima mit Kohlenhydraten am Abend klar, andere fühlen sich besser ohne. Das hängt von vielen Faktoren ab: Genetik, Aktivitätslevel, Stress, Schlafqualität, sogar von der Zusammensetzung der Darmflora.

Besonders interessant ist das für Menschen mit Insulinresistenz. Bei einer Insulinresistenz sollte der Verzehr von Zucker und leicht verdaulichen Kohlenhydraten eingeschränkt werden. Für diese Menschen kann es tatsächlich sinnvoll sein, abends weniger oder gar keine Kohlenhydrate zu essen.

Aber das ist dann eine medizinische Empfehlung, keine allgemeine Diätregel. Wenn du vermutest, dass du eine Insulinresistenz hast, lass das von einem Arzt abklären – statt dich durch den Dschungel der Internetdiäten zu kämpfen.

Der Mythos-Check: Was bleibt übrig?

Also, was ist nun dran am Mythos der bösen Abend-Kohlenhydrate? Es ist wie mit vielen Ernährungsweisheiten: Ein Körnchen Wahrheit, verpackt in eine Menge Übertreibung.

Ja, der Stoffwechsel funktioniert abends etwas anders. Ja, die Insulinsensitivität ist geringer. Ja, der Körper verbrennt in Ruhe weniger Kalorien als bei Aktivität. Aber nein, das bedeutet nicht, dass jede Banane nach sechs Uhr direkt auf die Hüften wandert.

Die Wahrheit ist langweiliger und komplizierter zugleich: Es kommt darauf an. Auf dich, deinen Lebensstil, deine Gene, deine Ziele. Pauschalverbote helfen selten – ein bewusster Umgang mit Essen dagegen schon.

Schlafqualität und Kohlenhydrate – eine unterschätzte Verbindung

Hier kommt noch ein Aspekt ins Spiel, der oft übersehen wird: der Schlaf. Manche Menschen schlafen besser, wenn sie abends etwas Kohlenhydrathaltiges gegessen haben. Andere wälzen sich stundenlang im Bett herum, wenn sie spät noch eine große Portion Nudeln verdrückt haben.

Warum ist das so? Kohlenhydrate können die Produktion von Serotonin fördern, einem Botenstoff, der für Entspannung und guten Schlaf wichtig ist. Andererseits kann ein zu hoher Blutzuckerspiegel vor dem Schlafengehen auch unruhig machen.

Wieder zeigt sich: Es ist individuell. Experimentiere ein bisschen mit dir selbst. Führe ein paar Wochen lang ein Ernährungs- und Schlaftagebuch. Du wirst schnell merken, was dir gut tut und was nicht.

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