Geschichte & Kultur

Römische Garum-Produktion: Fischsauce als Grundlage der antiken Küche

Stinkende Fischinnereien, monatelang in der Sonne vergoren – klingt erstmal widerlich. Doch Garum war das flüssige Gold der römischen Küche und kostete mehr als guter Wein. Zeit, dem antiken Umami-Booster auf die Spur zu gehen.

Geschichte & Kultur  |  Lesezeit: ca. 7 Min.
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Zwischenablage

Stell dir vor, du sitzt in einer römischen Villa und riechst schon von weitem diesen intensiven, salzig-fischigen Duft. Was heute nach verdorbenem Essen klingen mag, war damals pure Luxus-Küche. Garum – die legendäre Fischsauce der Antike – gehörte in jeden respektablen römischen Haushalt wie heute Salz und Pfeffer zu uns.

Dabei war Garum weit mehr als nur eine Würzsauce. Es war Statussymbol, Handelsware und kulinarische Grundlage zugleich. Die besten Sorten kosteten ein Vermögen und wurden quer durchs Mittelmeer verschifft. Aber was machte diese vergorene Fischpampe so besonders?

Was zum Henker ist Garum eigentlich?

Im Grunde genommen handelte es sich bei Garum um eine fermentierte Fischsauce, die aus Fischeingeweiden, ganzen kleinen Fischen und ordentlich Salz hergestellt wurde. Klingt erst mal nicht sonderlich appetitlich – ist aber im Prinzip dasselbe Konzept wie bei der heutigen vietnamesischen Nuoc Mam oder der thailändischen Nam Pla.

Die Römer warfen alles zusammen in große Amphoren oder Becken: Thunfisch-Innereien, Makrelen, Sardinen, manchmal auch ganze kleine Fische. Dazu kam grober Salz im Verhältnis von etwa einem Teil Salz zu zehn Teilen Fisch. Das Ganze wurde dann kräftig durchgemischt und der mediterranen Sonne überlassen.

Während der nächsten zwei bis drei Monate passierte die Magie der Fermentation. Enzyme aus den Fischeingeweiden und natürliche Bakterien bauten die Proteine ab und verwandelten sie in komplexe Aminosäuren. Heraus kam eine bernsteinfarbene bis dunkelbraune Flüssigkeit mit einem intensiven, würzigen Geschmack – pure Umami-Bombe, würden wir heute sagen.

Qualitätsstufen: Vom Billig-Garum bis zur Luxus-Variante

Nicht jedes Garum war gleich. Wie bei Wein oder Olivenöl gab es verschiedene Qualitätsstufen, und die Preisunterschiede waren beträchtlich. Das beste Garum, genannt "Garum sociorum", kam aus Südspanien und kostete mehr als guter Wein. Diese Luxusvariante wurde aus den edelsten Thunfisch-Teilen hergestellt und durchlief einen besonders sorgfältigen Produktionsprozess.

Mittlerweile wissen wir auch, dass die Römer verschiedene Sorten produzierten. Da gab es das klassische Garum aus verschiedenen Fischarten, aber auch spezialisierte Varianten wie "Garum de scombro" aus Makrelen oder "Oenogarum" – eine Mischung aus Garum und Wein, die besonders zu Fleischgerichten gereicht wurde.

Am unteren Ende der Skala stand "Allec" – eine Art Garum-Brei, bei dem auch die festen Bestandteile mitverwendet wurden. Das war sozusagen das Billig-Garum für die ärmeren Schichten. Trotzdem: Selbst diese einfache Variante war geschmacklich um Längen interessanter als reines Salz.

Produktion im großen Stil: Die Garum-Fabriken der Antike

Spannend ist dabei, dass Garum nicht nur in kleinen Mengen für den Hausgebrauch produziert wurde. Archäologen haben entlang der Mittelmeerküste regelrechte Industrie-Anlagen entdeckt – Garum-Fabriken, wenn man so will. Besonders an der spanischen und portugiesischen Küste sowie in Nordafrika entstanden große Produktionsstätten.

Diese Anlagen bestanden meist aus mehreren rechteckigen Steinbecken, die in den Boden eingelassen waren. Manche davon fassten mehrere tausend Liter. Die Becken waren oft mit wasserdichtem Mörtel ausgekleidet und strategisch so platziert, dass sie maximale Sonneneinstrahlung bekamen. Schließlich war die Wärme entscheidend für den Fermentationsprozess.

Interessant ist auch, dass viele dieser Fabriken direkt am Meer lagen – nicht nur wegen der frischen Fischlieferungen, sondern auch wegen des Geruchs. Stell dir vor, wie das gerochen haben muss! Die Anwohner waren sicher nicht begeistert, aber der Profit stimmte offenbar.

Die größten Produktionszentren lagen in Hispanien (dem heutigen Spanien), besonders um Cartagena und an der Atlantikküste. Von dort wurde Garum in Amphoren abgefüllt und ins ganze Römische Reich verschifft. Selbst in Britannien und Germanien fand man Amphoren-Scherben mit Garum-Resten.

Handwerk oder Industrie? Die Geheimnisse der Garum-Meister

Die Herstellung von hochwertigem Garum war durchaus eine Kunst. Erfahrene Produzenten wussten genau, welche Fischarten sie wann mischen mussten, wie das optimale Salz-Fisch-Verhältnis aussah und wie lange die Fermentation dauern sollte. Zu kurz, und das Garum schmeckte fade. Zu lang, und es wurde bitter oder entwickelte unangenehme Nebenaromen.

Manche Produzenten hatten ihre ganz eigenen Tricks. Sie fügten beispielsweise Kräuter wie Dill oder Koriander hinzu, um dem Garum eine besondere Note zu verleihen. Andere experimentierten mit verschiedenen Salzsorten oder speziellen Fermentationszeiten.

Die besten Garum-Meister hüteten ihre Rezepte wie Staatsgeheimnisse. Schließlich hing ihr Ruf und ihr Einkommen davon ab. Plinius der Ältere beschreibt in seiner Naturgeschichte, wie aufwendig die Herstellung des besten Garums war und dass nur wenige Produzenten das Geheimnis beherrschten.

Garum in der römischen Küche: Viel mehr als nur Würze

Garum war in der römischen Küche praktisch allgegenwärtig. Es ersetzte nicht nur Salz, sondern diente auch als Basis für komplexere Saucen. Die Römer mischten es mit Honig für süß-salzige Marinaden, mit Essig für pikante Dressings oder mit Wein für raffinierte Fleischsaucen.

Apicius, der berühmte römische Koch des 1. Jahrhunderts nach Christus, erwähnt Garum in praktisch jedem zweiten Rezept. Mal als Hauptzutat, mal nur als Geschmacksverstärker. Ohne Garum wäre die römische Küche wahrscheinlich ziemlich fade gewesen – vergleichbar damit, wenn wir heute auf Salz verzichten müssten.

Besonders beliebt war Garum zu Fleischgerichten. Die Römer liebten es, gebratenes Schweine- oder Rindfleisch mit Garum-basierten Saucen zu servieren. Aber auch zu Fisch – paradoxerweise – wurde Garum gereicht. Die salzige Intensität verstärkte die Meeresaromen, anstatt sie zu überdecken.

Gemüse wurde ebenfalls häufig mit Garum gewürzt. Linsen, Bohnen, Kohl – praktisch alles bekam einen Schuss der Fischsauce ab. Selbst süße Speisen blieben nicht verschont: Garum mit Honig war eine beliebte Kombination für Desserts und Süßwaren.

Wirtschaftsfaktor Garum: Ein Millionen-Business der Antike

Die Garum-Produktion war ein echter Wirtschaftszweig. Historiker schätzen, dass allein in den spanischen Provinzen hunderte von Garum-Fabriken aktiv waren. Die besten Produzenten wurden steinreich – vergleichbar mit heutigen Luxus-Lebensmittel-Herstellern.

Der Handel mit Garum funktionierte über das gesamte Mittelmeer und darüber hinaus. Römische Kaufleute transportierten die Amphoren bis nach Britannien, Germanien und in die Donauprovinzen. Garum war sozusagen ein früher Vorläufer der globalisierten Lebensmittelindustrie.

Interessant dabei: Die verschiedenen Garum-Sorten hatten unterschiedliche Zielgruppen. Das teure "Garum sociorum" landete auf den Tischen der römischen Elite, während einfachere Varianten die breite Bevölkerung versorgten. Sogar Soldaten bekamen Garum als Teil ihrer Rationen – allerdings nicht die Luxus-Qualität.

Die Preise schwankten je nach Qualität und Herkunft erheblich. Spitzengarum kostete etwa so viel wie guter Wein, während einfaches Garum für normale Römer durchaus erschwinglich war. Das zeigt, wie wichtig diese Würzsauce im täglichen Leben war.

Das Ende einer Ära: Warum Garum verschwand

Mit dem Untergang des Weströmischen Reiches verschwand auch die Garum-Produktion weitgehend. Die großen Handelsrouten brachen zusammen, die Produktionsstätten wurden aufgegeben. Im Byzantinischen Reich hielt sich Garum noch etwas länger, aber auch dort verlor es allmählich an Bedeutung.

Mehrere Faktoren spielten dabei eine Rolle. Zum einen veränderten sich die Essgewohnheiten mit dem Aufkommen des Christentums. Fasten und Verzicht gewannen an Bedeutung, aufwendige Würzsaucen passten nicht mehr ins neue Weltbild. Zum anderen entstanden neue Handelszentren und Gewürzrouten, die andere Geschmacksrichtungen populär machten.

Aber vielleicht war es auch einfach praktischer, auf lokale Alternativen zu setzen. Salz war überall verfügbar, Kräuter konnte man selbst anbauen. Warum also auf teure importierte Fischsauce angewiesen sein?

Renaissance einer antiken Delikatesse

Heute erlebt Garum eine kleine Renaissance. Köche und Food-Historiker experimentieren wieder mit der antiken Rezeptur. Einige Produzenten in Italien und Spanien stellen sogar kommerziell Garum her – natürlich unter modernen hygienischen Bedingungen.

Der Geschmack ist gewöhnungsbedürftig, aber definitiv interessant. Wer schon mal vietnamesische oder thailändische Fischsauce probiert hat, kann sich das Aroma ungefähr vorstellen. Intensiv, salzig, mit einer leicht süßlichen Note und diesem charakteristischen Umami-Geschmack, der Gerichte richtig rund macht.

Manche Restaurants verwenden heute rekonstruiertes Garum für authentische römische Gerichte. Das ist sicher mehr Gimmick als kulinarische Revolution, aber spannend ist es allemal. Schließlich können wir so wenigstens ansatzweise nachvollziehen, wie das Essen vor 2000 Jahren geschmeckt haben könnte.

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