Kaum ein Ernährungsratgeber kommt ohne Acai-Beeren, Spirulina oder Matcha aus. Doch während wir uns die Geldbörse für diese oft überteuerten Exoten leeren, übersehen wir systematisch die Schätze, die buchstäblich vor unserer Nase gedeihen. Brennnesseln, Hagebutten oder Walnüsse – klingt erst mal nicht so sexy wie die südamerikanischen Konkurrenten, aber lass dich nicht täuschen.
Tatsächlich stecken in vielen heimischen Pflanzen mindestens genauso viele Vitamine, Mineralstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe wie in den gehypten Importen. Oft sogar mehr. Der Clou dabei: Diese regionalen Kraftpakete sind nicht nur günstiger, sondern auch nachhaltiger und – wenn du weißt, wo du hinschauen musst – praktisch überall zu finden.
Brennnessel – das verkannte Multitalent
Jeder kennt sie, die meisten verfluchen sie: die Brennnessel. Dabei ist das, was uns beim Spaziergang so fies in die Beine piekst, ein absoluter Nährstoff-Champion. Mit etwa 40 Milligramm Vitamin C pro 100 Gramm schlägt sie sogar manche Zitrusfrucht. Dazu kommen beachtliche Mengen an Eisen, Kalzium und Kalium.
Besonders spannend ist der hohe Gehalt an Chlorophyll – jenem grünen Farbstoff, der in teuren Nahrungsergänzungsmitteln als Wundermittel beworben wird. Die Brennnessel liefert ihn gratis mit. Getrocknet als Tee oder frisch in Smoothies, Suppen oder als Gemüse zubereitet, verliert sie übrigens ihre brennende Wirkung komplett.
Ein Tipp aus der Praxis: Junge Brennnesseltriebe schmecken am besten und sind besonders nährstoffreich. Einfach mit Handschuhen pflücken, kurz blanchieren und wie Spinat verwenden. Der Geschmack? Würzig-herb, aber keineswegs unangenehm.
Hagebutten – Vitamin-C-Bomben am Wegesrand
Wenn im Herbst die leuchtend roten Früchte der Heckenrose reifen, übersehen die meisten Spaziergänger ein wahres Superfood. Hagebutten enthalten bis zu 20-mal mehr Vitamin C als Zitronen – ein einzelnes Früchtchen kann den Tagesbedarf decken. Dazu kommen Vitamin A, E und K sowie eine Reihe von Antioxidantien.
Traditionell werden die Früchte zu Marmelade oder Tee verarbeitet. Aber auch roh sind sie essbar, wenn auch etwas säuerlich. Die kleinen Kerne im Inneren solltest du allerdings entfernen – die können ganz schön kratzen im Hals. Moderne Verarbeitung macht aus Hagebutten auch Pulver für Smoothies oder getrocknete Snacks.
Interessant ist dabei, dass wilde Hagebutten meist deutlich mehr Nährstoffe enthalten als ihre kultivierten Verwandten aus dem Garten. Ein Grund mehr, bei der nächsten Wanderung die Augen offen zu halten.
Löwenzahn – mehr als nur Unkraut
Was Hobbygärtner zur Verzweiflung bringt, ist in Wahrheit eine kleine Nährstoffbombe. Löwenzahn enthält mehr Beta-Carotin als Karotten und übertrifft sogar den Spinat bei wichtigen Mineralstoffen wie Kalium und Eisen. Die Bitterstoffe, die für den charakteristischen Geschmack sorgen, regen zusätzlich die Verdauung an.
Alle Teile der Pflanze sind essbar – von der Wurzel bis zur Blüte. Junge Blätter eignen sich hervorragend für Salate, ältere schmecken gedünstet oder in Suppen. Die gelben Blüten kann man zu Sirup verarbeiten oder einfach als essbare Dekoration verwenden. Auch hier gilt: Je jünger, desto milder im Geschmack.
Ein kleiner Kniff für Sammler: Löwenzahn aus schattigen Bereichen ist oft weniger bitter als der aus der prallen Sonne. Und wer den Geschmack überhaupt nicht mag, kann die Blätter auch einfach in grüne Smoothies mischen – da schmeckt man sie kaum raus.
Holunder – schwarze Beeren mit Power
Der schwarze Holunder wächst praktisch überall und wird doch oft übersehen. Dabei stecken seine dunklen Beeren voller Anthocyane – jener Pflanzenfarbstoffe, die auch Heidelbeeren so gesund machen. Dazu kommen ordentliche Mengen Vitamin C und verschiedene B-Vitamine.
Rohe Holunderbeeren sind allerdings nicht jedermanns Sache – sie können in größeren Mengen Bauchschmerzen verursachen. Gekocht hingegen sind sie völlig unbedenklich und lassen sich vielseitig verwenden: als Saft, Gelee, in Kuchen oder als Sirup. Der intensive, leicht herbe Geschmack erinnert an eine Mischung aus Brombeere und Johannisbeere.
Übrigens sind auch die cremeweißen Holunderblüten essbar und werden traditionell zu Sirup oder Gelee verarbeitet. Sie schmecken süßlich-blumig und eignen sich auch hervorragend für Tees oder als Aromaspender in Desserts.
Walnüsse – Brainfood vom Baum
Okay, Walnüsse sind jetzt nicht wirklich unbekannt. Aber ihre Nährstoffdichte wird oft unterschätzt. Sie enthalten mehr Omega-3-Fettsäuren als die meisten Fischsorten und sind reich an Vitamin E, Folsäure und Magnesium. Schon eine Handvoll täglich kann sich positiv auf Herz und Gehirn auswirken.
Frische Walnüsse direkt vom Baum schmecken übrigens ganz anders als die getrockneten aus dem Supermarkt – milder, cremiger, fast etwas süßlich. Wer einen Walnussbaum in der Nähe hat, sollte im Herbst unbedingt zugreifen. Die grünen Schalen färben zwar die Finger braun, aber das geht wieder weg.
Spannend ist auch, dass die dünne Haut zwischen Nussschale und Kern besonders viele Antioxidantien enthält. Deshalb sollte man sie nicht immer komplett entfernen, auch wenn sie etwas bitter schmeckt.
Sanddorn – das Vitamin-C-Kraftpaket
An den Küsten von Nord- und Ostsee wächst ein wahres Superfood, das viele nur als stachelige Hecke wahrnehmen: der Sanddorn. Seine orange-roten Beeren enthalten etwa zehnmal mehr Vitamin C als Orangen und sind dazu reich an Vitamin A und E sowie wertvollen Fettsäuren.
Der Geschmack ist allerdings gewöhnungsbedürftig – sehr sauer und herb. Pur sind die Beeren kaum genießbar, aber verarbeitet zu Saft, Marmelade oder Sirup entwickeln sie ein fruchtiges, fast tropisches Aroma. In der Küche lassen sie sich auch gut für Saucen zu Wild oder Geflügel verwenden.
Sanddorn ist übrigens zweihäusig – das bedeutet, es gibt männliche und weibliche Pflanzen. Nur die weiblichen tragen Früchte, brauchen aber einen männlichen Partner in der Nähe. Deshalb findet man ihn meist in größeren Beständen.
Giersch – das gefürchtete Gartenunkraut
Was Gärtner zur Weißglut bringt, ist in der Naturheilkunde schon lange geschätzt: der Giersch. Seine dreizähligen Blätter enthalten viermal mehr Vitamin C als Kopfsalat und dazu beachtliche Mengen an Kalium, Magnesium und Eisen. Früher wurde er sogar "Gichtkraut" genannt – ein Name, der auf seine traditionelle Verwendung bei Gelenkbeschwerden hinweist.
Geschmacklich erinnert Giersch an eine Mischung aus Petersilie und Sellerie. Junge Blätter schmecken roh im Salat, ältere eignen sich gut zum Kochen. In der Suppe oder als Gemüsebeilage kann er problemlos Spinat ersetzen. Und das Beste: Er wächst praktisch überall und ist fast unkaputtbar.
Ein Erkennungsmerkmal für Sammler: Der charakteristische dreieckige Blattstiel – "Giersch hat drei Ecken", sagt der Volksmund. So kann man ihn nicht mit anderen Pflanzen verwechseln.
Schlehen – herb und gesund
Die dunkelblauen Früchte des Schlehdorns sind ein echtes Herbst-Superfood, auch wenn sie vor dem ersten Frost praktisch ungenießbar sind. Die Kälte baut die Gerbstoffe ab und macht die Beeren milder. Dann stecken sie voller Vitamin C, Gerbstoffe und Anthocyane.
Schlehen eignen sich hervorragend für Marmeladen, Liköre oder Säfte. Der Geschmack ist herb-süßlich und erinnert an eine Mischung aus Pflaume und Heidelbeere. In der Naturheilkunde werden sie traditionell bei Erkältungen und Verdauungsbeschwerden eingesetzt.
Beim Sammeln sollte man allerdings vorsichtig sein – die Schlehensträucher sind mit langen Dornen bewehrt. Handschuhe sind definitiv empfehlenswert. Und nicht verwechseln mit Blaubeeren – die wachsen nicht an dornigen Sträuchern.