Wer kennt das nicht: Du stehst im Supermarkt vor dem Regal mit den Süßungsmitteln und fragst dich, welcher der vielen weißen Kristalle oder grünen Pülverchen wohl der richtige ist. Erythrit verspricht null Kalorien, Stevia wirbt mit "natürlich", und Xylit soll sogar gut für die Zähne sein. Klingt fast zu schön, um wahr zu sein – und das ist es manchmal auch.
In den letzten Jahren sind Zuckeralternativen regelrecht durch die Decke gegangen. Was früher hauptsächlich Diabetiker interessierte, steht heute in praktisch jeder Küche. Doch zwischen Marketing-Versprechen und Küchenpraxis liegen oft Welten. Höchste Zeit, mal genauer hinzuschauen.
Erythrit: Der Shootingstar mit dunklen Seiten
Erythrit war jahrelang der unumstrittene Liebling unter den Zuckeralternativen. Praktisch kalorienfrei, backtauglich und ohne den bitteren Nachgeschmack vieler Süßstoffe – was will man mehr? Die Kristalle sehen aus wie Zucker, rieseln wie Zucker und süßen mit etwa 70 Prozent der Kraft von normalem Haushaltszucker.
Doch dann kam 2023 der Dämpfer: Forscher der Cleveland Clinic zeigten in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Herzzentrum der Charité, dass Erythrit mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall verbunden ist. Ausgerechnet die Menschen, denen Erythrit besonders empfohlen wird – Diabetiker und Übergewichtige mit bereits erhöhtem Herz-Kreislauf-Risiko – könnten besonders betroffen sein.
Trotzdem sollte man nicht in Panik verfallen. Nur das oberste Quartil der Probanden mit den höchsten Erythrit-Spiegeln zeigte ein signifikant erhöhtes Risiko. Was bedeutet das konkret? Wer gelegentlich seinen Kuchen mit Erythrit süßt, muss sich vermutlich keine Sorgen machen. Problematisch wird es eher bei regelmäßigem, hohem Konsum.
In der Praxis zeigt sich noch ein anderes Problem: Erythrit kann bei größeren Mengen – und das ist schneller erreicht, als man denkt – zu Verdauungsbeschwerden führen. Blähungen, Durchfall und Bauchkrämpfe sind keine Seltenheit. Besonders ärgerlich, wenn man gerade eine ganze Ladung Weihnachtsplätzchen mit dem vermeintlich harmlosen Süßstoff gebacken hat.
Stevia: Natürlich umstritten
Stevia wird gerne als die "natürliche" Alternative beworben. Schließlich stammt der Süßstoff aus den Blättern der südamerikanischen Stevia-Pflanze. Doch halt – Steviolglykoside sind kein natürlicher Zuckerersatz, da sie stark verarbeitet sind. Von der grünen Pflanze bis zum weißen Pulver ist es ein weiter, industrieller Weg.
Das größte Problem von Stevia ist aber nicht die Verarbeitung, sondern der Geschmack. Wer schon mal versucht hat, den Sonntagskuchen mit reinem Stevia zu süßen, weiß wovon ich rede: Da ist dieser metallische, leicht bittere Nachgeschmack, der einfach nicht weggeht. Manche beschreiben ihn als lakritzig, andere als seifig – schmeichelhaft ist beides nicht.
In der Küche ist Stevia außerdem eine echte Herausforderung. Die Süßkraft ist etwa 200- bis 300-mal höher als die von Zucker. Ein winziger Messfehler und der ganze Kuchen ist versaut. Viele Hersteller mischen deshalb Stevia mit anderen Stoffen wie Erythrit, um eine 1:1-Dosierung zu ermöglichen. Diese Mischungen haben den Vorteil, dass sie die gleiche Süßkraft wie Zucker erzeugen und in bestehenden Rezepten 1:1 ersetzt werden können.
Trotz aller Nachteile hat Stevia seine Berechtigung. Für Menschen, die den Geschmack mögen oder sich daran gewöhnt haben, ist es eine kalorienfreie Option ohne die aktuellen Gesundheitsbedenken von Erythrit.
Xylit: Der Zahnfreund mit Tücken
Xylit, auch Birkenzucker genannt, hat einen besonderen Ruf: Es soll nicht nur süßen, sondern auch noch gut für die Zähne sein. Tatsächlich kann Xylit Karies verhindern und wird deshalb gerne in zuckerfreien Kaugummis verwendet. Für die Zähne kann es einen großen Unterschied machen, welches Süßungsmittel enthalten ist.
Doch auch hier gibt es neue, beunruhigende Erkenntnisse. Eine Studie der Cleveland Clinic zeigt, dass höhere Xylit-Werte im Blut mit einem deutlich erhöhten Risiko für schwere Herzerkrankungen und Schlaganfälle verbunden sind. Das gleiche Problem wie bei Erythrit also.
Praktisch ist Xylit allerdings gut zu handhaben. Es süßt fast genauso stark wie Zucker, sieht aus wie Zucker und verhält sich beim Backen ähnlich. Der große Haken: Xylit ist ziemlich teuer und kann in größeren Mengen ordentlich auf den Magen schlagen. Außerdem ist Vorsicht geboten, wenn Hunde im Haushalt leben – für sie ist Xylit hochgiftig.
Die anderen Kandidaten: Von Aspartam bis Allulose
Neben den drei großen Namen gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Süßungsalternativen. Aspartam ist wohl der bekannteste klassische Süßstoff, steht aber schon lange in der Kritik. Saccharin ist der älteste Süßstoff auf dem deutschen Markt mit einer Süßkraft von etwa 550-mal so hoch wie die des Zuckers.
Interessanter ist Allulose, ein relativ neuer Zuckeralkohol, der in den USA bereits weit verbreitet ist. Er hat nur etwa 10 Prozent der Kalorien von normalem Zucker und verhält sich beim Backen fast genauso. In Europa ist Allulose allerdings noch nicht als Lebensmittel zugelassen.
Dann gibt es noch die "natürlichen" Alternativen wie Kokosblütenzucker, Ahornsirup oder Agavendicksaft. Alternative Süßmacher wie exotische Dicksäfte und Sirupe gelten als "natürliche" Süße und die "gesündere" Alternative zu klassischem Haushaltszucker. Doch ehrlich gesagt: Zucker bleibt Zucker, egal ob er aus Zuckerrüben, Kokosblüten oder Agaven stammt. Die Kalorienbilanz ist praktisch identisch.
Die Praxis-Realität: Was funktioniert wirklich?
Nach Jahren des Experimentierens in der eigenen Küche kann ich sagen: Den perfekten Zuckerersatz gibt es nicht. Jede Alternative hat ihre Eigenheiten, und was für den einen super funktioniert, ist für den anderen ein Graus.
Fürs Backen hat sich eine Mischung bewährt: Ein Teil Erythrit (trotz der aktuellen Diskussion, aber in moderaten Mengen), ein Teil normaler Zucker. Das gibt die nötige Süße, ohne den metallischen Geschmack von reinem Erythrit, und der Kuchen geht trotzdem ordentlich auf. Reines Stevia funktioniert nur in sehr kleinen Mengen – ein Hauch im Joghurt oder im Tee.
Für den Kaffee am Morgen bleibt Xylit mein Favorit, trotz der neuen Studien. Die Mengen sind gering, der Geschmack stimmt, und ehrlich gesagt: Ein bisschen Risiko gehört zum Leben dazu. Bei größeren Mengen – etwa beim Marmelade kochen – greife ich mittlerweile wieder zu normalem Zucker. Manchmal ist das Original eben doch die beste Wahl.
Dosierung und Nebenwirkungen: Die unschöne Wahrheit
Was in der Werbung gerne verschwiegen wird: Alle Zuckeralkohole können bei übermäßigem Verzehr abführend wirken. Die Schwelle liegt bei Erythrit bei etwa 50 Gramm pro Tag, bei Xylit schon bei 20 Gramm. Das klingt nach viel, ist aber schnell erreicht – ein mit Erythrit gesüßter Kuchen kann locker 30 Gramm enthalten.
Besonders tückisch: Die Gewöhnung funktioniert nur bedingt. Wer regelmäßig größere Mengen Zuckeralkohole isst, wird zwar unempfindlicher, aber die Grenze bleibt bestehen. Und diese Grenze zu überschreiten, ist wirklich unangenehm – glaubt mir.
Bei Stevia ist das anders: Hier sind wirklich nur winzige Mengen nötig. Ein Teelöffel Stevia-Pulver reicht für einen ganzen Kuchen. Das Problem ist nur die Dosierung – zu wenig und der Kuchen schmeckt nach nichts, zu viel und er ist ungenießbar bitter.
Der Blick in die Zukunft: Neue Entwicklungen
Die Forschung an Zuckeralternativen geht munter weiter. Monk Fruit (Mönchsfrucht) gilt als vielversprechend, ist aber noch sehr teuer. Tagatose, ein natürlich vorkommender Zucker mit nur der halben Kalorienzahl, könnte interessant werden. Und wer weiß – vielleicht entwickelt jemand doch noch den perfekten Zuckerersatz ohne Nebenwirkungen.
Was sich aber schon jetzt abzeichnet: Die Zeit der Wundermittel ist vorbei. Jeder Süßstoff hat seine Vor- und Nachteile, und die aktuellen Studien zu Herz-Kreislauf-Risiken zeigen, dass auch vermeintlich harmlose Alternativen nicht automatisch gesünder sind.